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23.10.2007

Wenn die grüne EU-Abgeordnete Hiltrud Breyer das Wort ergreift, jubeln die Umweltschützer und zittern die Konzerne 

Nervensäge aus Profession

Vielleicht gehört es zu den grundlegenden Eigenschaften eines Abgeordneten, die Nerven der Mächtigen zu strapazieren. Bei Hiltrud Breyer besteht in dieser Frage jedenfalls kein Zweifel. „Wenn in Brüssel ein Gesetz geplant wird, verlagern die betroffenen Konzerne die Lobbyarbeit sofort dorthin, weil die Brüsseler Regelung Grundlage für nationale Gesetze ist", hat die Abgeordnete der Grünen im Europaparlament (EP) zu Beginn ihrer Brüsseler Zeit erkannt. Die Mission, die sie daraus abgeleitet hat, ist, Lobbyarbeit gegen die Lobbyisten zu machen. Breyer, Jahrgang 1957, folgt dieser Berufung als Europa-Abgeordnete seit 1989. Und wer sich in Brüssel nicht in sein Büro einschließt, alle Kommunikationskanäle stopft und in Deckung geht, wird der Umweltpolitikerin Breyer zwangsläufig begegnen.

Durchschnittlich 150 Anfragen pro Jahr an die Kommission stellt die gebürtige Saarbrückerin, die Schärfe ihrer Angriffe ist legendär, ihre öffentlichen Stellungnahmen sind Legion. Das hat allerdings auch damit zu tun, dass der Medienbetrieb Breyers kompetente Übertreibungen in gewissem Maße schätzt.Von ihr bekommt man immer eine deutliche, wenn auch oft überdeutliche Stellungnahme.

„Aufrührerische Sprache"


Gerade hat sie die Pestizid-Industrie im Visier, die sich vehement gegen eine Neuregelung der Zulassung und Anwendung von Pflanzenschutzmitteln wehrt. Ihre derzeitigen Gegner sind also die großen Chemiekonzerne, Bayer oder BASF zum Beispiel. Dort schwanken die Gefühle gegenüber der Grünen zwischen Angst und Abneigung, weil Breyer die Situation einseitig nur aus umweltpolitischen Gesichtspunkten heraus betrachte.
Breyer ist im Umweltausschuss die zuständige Berichterstatterin für die Verordnung zur Zulassung von Pestiziden. Von der Industrie wird sie deshalb sehr ernst genommen, auch wenn ihre „aufrührerische Sprache" und ihre „drakonischen Vorschläge" auf Ablehnung stoßen, wie ein Lobbyist sagt. Die Politikerin wirft der Chemieindustrie vor, sie erzähle Ammenmärchen und betreibe gezielte Desinformation. Etwa dann, wenn die Befürchtung geäußert wird, als Folge einer strengeren Gesetzgebung könnte es in Zukunft nicht ausreichend viele Wirkstoffe für den Pflanzenschutz geben.

An diesem Dienstag stimmt das Europäische Parlament in erster Lesung über die neuen Gesetzesvorhaben ab. Bis die Regelungen verbindlich gelten, werden noch Jahre vergehen. Der Bericht des EP-Umweltausschusses, den Breyer maßgeblich mitgestaltet hat und der eine deutliche Reduzierung gesundheitsgefährdender Pestizide vorsieht, ist in ihren Augen dennoch nichts weniger als ein Meilenstein für den Verbraucherschutz, eine Sternstunde gar. Bei der politischen Einigung im Parlament machten nur die deutschen Abgeordneten der konservativen EVP-Fraktion noch Sorgen, weil sie die Positionen der Industrie „eins zu eins umsetzen wollen". In Anspielung auf Breyers forsche Formulierungen sagt ein Brüsseler Beobachter, ihr geringstes Mittel sei nichts weniger als die Atombombe. Das ist insofern ein gewagter Vergleich, als die Saarländerin aus dem Mandelbachtal der Friedensbewegung entstammt. 1979 hat sie den saarländischen Landesverband der Grünen mitbegründet.

Hiltrud Breyer sagt aber auch Sätze wie: „Es gibt keinen Grund, warum Pestizide krebserregend sein sollen." Bei vielen Verbrauchern wird sie mit ihren Mahnungen auf offene Ohren stoßen. Sie fordert zum Beispiel einen Pestizid-Pass als Dokumentationspflicht für Verwender von Pflanzenschutzmitteln oder ein Informationssystem für Anwohner, damit diese sich darüber informieren können, wann auf dem Acker nebenan gesprüht wird. Die Bauern sehen darin nur sinnlose Schikanen für ihre Arbeit.
Pestizid-Rückstände in Lebensmitteln sind nach einer Eurobarometer-Umfrage die größte Lebensmittel betreffende Sorge der Europäer. Studien haben die Gefährlichkeit vieler Wirkstoffe bewiesen. Wie schon in vielen anderen Debatten zu Umwelt- und Verbraucherschutzthemen, zu Gentechnik oder Bioethik, zuletzt beim Streit um die EU-Chemikalienverordnung (Reach), hat sich die Grüne lauthals eingemischt. Jetzt kämpft Breyer eben dafür, dass krebserregende, erbgut- und fortpflanzungsschädigende Stoffe europaweit nicht mehr zugelassen werden dürfen.

Mit Bundesverdienstkreuz


Für sie als zweifache Mutter, die als Grüne der ersten Stunde ihre Kinder zuweilen mit ins Parlamentsplenum genommen hat, ist das Eintreten für die Belange von Verbrauchern und Umwelt ein selbstverständliches Herzensanliegen. Dabei steht Breyer aber auch an einer exponierten Stelle im europäischen Politikbetrieb: Umwelt- und Verbraucherschutzthemen werden immer wichtiger. Auch das Parlament tritt im Vergleich zu den beiden anderen EU-Säulen Kommission und Mitgliedsstaaten immer selbstbewusster auf. Breyer ist so etwas wie der lebende Beweis für diese Entwicklung.

Bei aller lauten Polemik und Gabe zur Dramatisierung hat sich ihre Fachkompetenz und die ihrer kenntnisreichen Mitarbeiter herumgesprochen. Für ihren Einsatz in der Umwelt- und Verbraucherpolitik wurde sie bereits mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

Altes wird ersetzt


Europäische Regelungen zum Pflanzenschutz gibt es seit Anfang der neunziger Jahre. Das System gilt inzwischen als veraltet. Die EU-Kommission hat deshalb Vorschläge für eine Richtlinie zum „nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln" und für eine Verordnung zur Regelung der Zulassung von Pestiziden vorgelegt. Kern der Verordnung ist der Ausschluss gesundheitsschädigender Wirkstoffe von der Zulassung. Umstritten ist die sogenannte Substitutionsregel, nach der ein Mittel, das gefährliche Stoffe enthält, ersetzt wird, sobald ein Pflanzenschutzmittel entwickelt ist, das eine bessere Wirkung zeigt.



Urhebervermerk: Dieser Artikel wurde von Julius Müller-Meiningen verfasst und ist am 23. Oktober 2007 in der Süddeutschen Zeitung auf Seite 20 erschienen.

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